Meine Zeit als Legionär und später als Zenturio ging nach den üblichen 25 Dienstjahren zu Ende. Ich war nun Anfang vierzig und seit einem Monat im »Ruhestand«. Mir wurden als Zeichen der Anerkennung einige Ländereien in der Provinz geschenkt, die ich kurz darauf erstmals bezog.
Im Gegensatz zu vielen anderen Soldaten genoss ich das Ende meiner Dienstzeit. Ich hatte meine Hundertschaft über fast alle Straßen des römischen Imperiums geführt. Hatte ebenso gegen die Germanen im Norden gekämpft wie auch gegen die Barbaren im Süden. Viele meiner Kameraden erlebten das Ende ihrer Dienstzeit nicht, wenn doch, blieben nicht wenige weiterhin in der Armee. Sie konnten sich kein anderes Leben mehr vorstellen.
Ich schon. Mehr als fünfundzwanzig Jahre hatte ich mit Kämpfen und der Ausbildung neuer Krieger verbracht. Das war genug. Ich wollte sehen, was das Leben noch zu bieten hatte, und wenn das Schicksal es nun vorsah, dass ich zunächst einmal meinen neuen Landbesitz verwaltete, so war mir auch das Recht. Andere Kameraden, die vor mir aus dem Dienst geschieden waren, boten mir in anderer Hinsicht ein Beispiel. Innerhalb weniger Monate wurden sie träge und fett. Das war einer der Gründe, warum ich auch weiterhin täglich meinen Körper trainierte.
Viel Ruhe blieb mir an meinem neuen Wohnsitz indes nicht. Kaum war ich mit meinem kleinen Gefolge aus freigelassenen Sklaven angekommen, schickte mir der hiesige Statthalter Tiberius Daimon ein Schreiben, in welchem er den Wunsch ausdrückte, mich zu treffen. Auf den Grund für das Treffen wurde nicht eingegangen. Solch ein ›Wunsch‹ des Statthalters war natürlich nichts anderes als ein Befehl.
So geschah es, dass ich einige Tage später im prachtvollen Empfangsraum der Villa des Tiberius wartete. Einer seiner Diener, Primgenius, empfing mich im Namen seines Herrn. Er war ein kleiner gedrungener Mann mit hellen Haaren, die aber weder weiß noch blond waren. Sein Anblick wirkte sehr fremdländisch. Ich fragte mich, aus welchem besetzten Landstrich er wohl hierher gekommen war. »Der Regent wird dich in wenigen Augenblicken empfangen«, sagte Primgenius, »um dir im Namen des Caesar für deine Pflichterfüllung zu danken.« Er verschwand zwischen den Säulenreihen und ließ mich alleine zurück.
›Im Namen des Caesar?‹, dachte ich, ›So ist also Iunia der Grund für die Einladung.‹ Ich ließ den Blick schweifen, bewunderte beeindruckt die prachtvolle Ausstattung des Empfangsraumes. Als Primgenius zurückkehrte und die Tür zu den Gemächern des Tiberius Daimon öffnete, verschlug es mir jedoch gänzlich den Atem. Gegen den Raum, den ich nun erblickte, wirkte die Empfangshalle wie eine schlichte Kammer.
Die prachtvollen Fresken, teils mit Gold verziert, der edle Marmor und die fein gearbeiteten Malereien! Als Soldat hatte ich die meiste Zeit unter einem freien Himmel verbracht und die unendlich vielen Details der Natur waren mir vertraut, doch hier war es, als hätte Menschenhand ebensolche Detailfülle geschaffen: aus Marmor, Gold und edlen Tuchen. Ich schloss kurz die Augen, um diese verwirrende Fülle auszublenden. Am liebsten hätte ich mir auch die Nase zugehalten. Im Heerlager stank es meist nach Pferdemist und dem Schweiß der Männer, man gewöhnte sich daran. Doch hier erreichten süße und exotische Düfte meine Nase, ein Gemisch, das mit nichts in der Natur vergleichbar war. Nach einem Augenblick öffnete ich meine Augen wieder. Alleine dieser Raum hier musste wertvoller sein als meine ganze Villa, als zehn Villen wie die meine.
Inmitten all der Pracht ruhte Tiberius auf einem prunkvoll gepolsterten Triclinium und hielt einen reich verzierten goldenen Weinbecher in der Hand. Ihm gegenüber saß ein alter, weißhaariger Mann. Primgenius blieb hinter mir an der Tür stehen, als ich eintrat. Tiberius stellte seinen Weinbecher zur Seite und erhob sich von seiner Liege. Er war ein beeindruckender Mann. Trotz seiner 55 Jahre war er muskulös und hatte nur wenig Fett angesetzt. Er war, wie ich, überdurchschnittlich groß und kein reinblütiger Römer. Dass er trotzdem so hoch in der Hierarchie aufgestiegen war, sprach für seine politischen Fähigkeiten. Ich wusste, dass auch er viele Jahre Soldat gewesen war. Zahlreiche Narben an seinen nackten Armen und Beinen kündeten davon. Auch ich hatte im Kampf viele Narben davongetragen.
Wir begrüßten uns und er musterte mich einen Augenblick. »Wie ich sehe, trägst du noch deine Kriegerkluft Marcus Caelius. Ist der Kampf für dich nicht vorbei?«
»Sie sitzt bequem und ist für eine lange Reise besser geeignet als jede Tunika«, erwiderte ich. Der weißhaarige Mann, der Tiberius gegenüber gesessen hatte, erhob sich und begrüßte mich würdevoll, dann ging er hinaus und ließ mich mit dem Statthalter und Primgenius alleine.
Tiberius seufzte. »Damit hast du ohne Zweifel Recht. Ich habe meine Rüstung schon seit Jahren nicht mehr getragen. Und du hast auch damit Recht, dass deine Reise lang war, daher kommen wir gleich zum eigentlichen Grund deines Besuches. Caesar bat mich, dir persönlich für deinen Dienst zu danken.« Er musterte mich eindringlich bevor er fortfuhr. »Eine große Ehre, die selbst ein sehr verdienter Zenturio nur selten empfängt. Fürwahr hast du große Verdienste für das Reich errungen und deine Tapferkeit vielfach unter Beweis gestellt. Dein Geschick in Strategie und Kampf hat so manche Schlacht zu unseren Gunsten gewendet. Aber die Aufmerksamkeit des Caesar gilt vor allem einer deiner großen Taten. Wie man hört, hast du ein enges Familienmitglied vor den Barbaren des Nordens gerettet.«
»Die Schwester seiner Frau«, erwiderte ich. »Es war mir eine Ehre, ihr gefällig sein zu dürfen.«
Tiberius Lippen umspielte ein wissendes Lächeln. »Ja, Iunia Torquata ist rastlos. Schon in jungen Jahren konnte sie kaum einige Tage an einem Ort verweilen. Sie besucht in ihrer Rastlosigkeit selbst die äußersten und unsicheren Provinzen des Reiches, so hört man. Wann konntest du ihr diesen Dienst erweisen?«
Ich war mir sicher, dass Tiberius schon alles darüber wusste, aber wenn er es von mir hören wollte, dann sollte es so sein. »Das ist schon viele Jahre her«, antwortete ich. »Ich war noch ein junger Mann.« Dass sie mich damals, kurz bevor die Barbaren angriffen, in ihr Zelt beordert hatte, damit ich sie beglücke, verschwieg ich, aber vermutlich wusste Tiberius es sowieso. Iunia war bekannt für ihren ausschweifenden Lebensstil.
»Deine Tapferkeit soll nun belohnt werden«, sagte Tiberius und legte seine kräftige Hand auf meine Schulter. »So danke ich dir in seinem Namen!« Er machte eine Pause. Ich wusste, dass das nicht alles war. Wenn der Caesar jemandem dankt, dann war er nicht kleinlich. »Zugleich trug er mir auf, dir auch materiell großzügig zu danken. Du wirst von nun an ein reicher Mann sein, Marcus Caelius.«
»Das ist sehr großzügig von Caesar«, erwiderte ich automatisch.
»Willst du gar nicht wissen, wie viel du bekommst?«, fragte Tiberius verblüfft und nahm die Hand von meiner Schulter.
»Ich bin ein Soldat. Ich bin nicht als Adliger aufgewachsen und einen einfachen Lebensstil gewohnt. Ich habe schon mehr als genug, mehr als ich je ausgeben kann. Ich mache mir nicht viel aus Sklaven und prachtvollen Villen.« Ich ließ meinen Blick kurz durch den Raum schweifen. »Auch wenn ich sie zu schätzen weiß. Ich danke dem großen Caesar für seine großzügige Geste aufrichtig. Ich fühle mich mehr geehrt, als ich ausdrücken kann!«
»Ich werde es ihm übermitteln.« Tiberius musterte mich erneut. »Nun ... wie ich sehe, bist du noch nicht zu einem Klumpen schwabbeligem Brei geworden, wie die meisten Soldaten im Ruhestand. Du trainierst noch?«
»Täglich. Bei der Hitze in diesen Landen, sollte man nicht mehr Fett als nötig herumschleppen.«
Tiberius nickte. Echte Anerkennung lag nun erstmals in seinem Blick. Es war offensichtlich, dass er selbst täglich im Gymnasium trainierte. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass du dir keine Frau genommen hast, Marcus. Keine Lust auf ein Weib an deiner Seite oder hast du eine Sklavin oder einen Sklaven, dem du deine Aufmerksamkeit schenkst?«
»Ich zähme meine Lust. Ein Krieger, der seine Leidenschaft nicht zu zähmen weiß, wird schnell ihr Opfer. Zudem habe ich zu lange als Soldat gelebt, als dass ich nun ein keifendes Weib an meiner Seite brauche oder einen eifersüchtigen Jüngling.« Manchmal nahm ich mir ein Weib wenn der Drang übermächtig wurde, hatte aber meine Lust noch nie in einem Mann ausgelebt, obwohl sich mir während meiner Dienstzeit oft jüngere Soldaten und auch ranggleiche Kameraden angeboten hatten, doch diese Offerten wären nur noch zahlreicher geworden, wäre ich darauf eingegangen. Neue ablenkende Versuchungen. Ich kannte andere Zenturionen, die sich regelmäßig junge, hübsche Soldaten mit in ihr Lagerbett nahmen oder aus deren Zelt jede Nacht das Stöhnen der Huren gedrungen war, doch wer nur an seine Lust denkt, hat keinen Sinn mehr für die Strategie im Kampf. Ich lebte noch, viele andere Kameraden waren gefallen.
»So brauche ich dir die Laelia, eine Cousine meiner Schwester wohl gar nicht erst schmackhaft zu machen! Meine Schwester drängte mich dazu ... der Alte, der gerade hinausging, ist ihr Vater. Laelia ist sehr ansehnlich.«
»Ich suche kein Weib«, erwiderte ich.
Tiberius Blick schien mich zu durchdringen. »Nun, Krieger, was kann ich sonst für dich tun? Du bist den langen Weg hierher gekommen. Du brauchst kein Geld, ein Weib willst du auch nicht ...« Wieder eine Pause, in der er mich musterte. Ich wusste nichts zu sagen. Soldaten sind keine großen Redner, tatsächlich musste ich mich konzentrieren, um sein sehr gebildetes Latein zu verstehen. »Nun denn, Marcus. Du wirst vermutlich einige Tage hier verweilen, so eröffne ich dir den Zugang zu meinen Quartieren. Vielleicht vermag dich das zu befriedigen. Jetzt, wo die Kämpfe vorbei sind.« Primgenius hinter mir schnappte hörbar nach Luft. »Nun geh!«, sagte Tiberius. »Ich habe noch zu arbeiten.«
Ich zog mich verwirrt zurück. Primgenius führte mich hinaus und schloss die Tür. Ich war mir nicht sicher, ob ich Tiberius richtig verstanden hatte. »Was meinte er damit?«, fragte ich.
Primgenius sah mich verblüfft an. »Eine große Ehre! Diese wurde noch keinem anderen Mann gewährt. Tiberius Daimon scheint dich sehr zu schätzen!«
»Ich verstehe nicht«, erwiderte ich. »Was ist in seinen Quartieren?« Primgenius sah mich prüfend an bevor er antwortete.
»Tiberius hat eine spezielle Regelung getroffen für säumige Steuerzahler. Wenn sie nicht zahlen können, können sie ihm statt Geld ihre schönsten Söhne und Töchter schicken. Sie müssen jungfräulich sein, unberührt, auch die Jünglinge. Wenn Tiberius sie innerhalb von zwei Jahren in einer Nacht als Bettwärmer erwählt, dann werden die nicht gezahlten Steuern erlassen. Ansonsten werden sie nach spätestens zwei Jahren zurückgeschickt, aber dann müssen die Steuern gezahlt werden.«
»Ein Harem?«, sagte ich überrascht. »Er besitzt einen Harem von Jünglingen und Jungfrauen?«
»Ich dachte, das wäre allgemein bekannt«, erwiderte Primgenius lächelnd. »Tiberius ist ein Mann vieler Gelüste ...«
»Ich glaube nicht, dass ich das brauche ...«, sagte ich kopfschüttelnd.
Primgenius sah mich entsetzt an. »Es ist eine Ehre, die vor dir noch keinem Mann zuteil wurde! Wenn er erfährt, dass du auch diese großzügige Geste abgelehnt hast, nach dem Geld und einer Ehefrau, wird ihn das nur noch mehr erzürnen!«
Tiberius war erzürnt? »Ich habe das Geld nicht abgelehnt. Ich habe nur ...«
»... ihm gesagt, dass dir die großzügige Geste des Caesar nichts bedeutet.« Primgenius hob tadelnd den Finger. »Wie soll Tiberius dem Caesar berichten, dass dir alle diese Dinge gleichgültig sind? Dann wird Caesar wissen wollen, wie er dich zusätzlich belohnt hat. Du hast als Soldat gelebt und kennst dich in den Spielen des Adels offensichtlich nicht aus.« Primgenius sah mich ernst an. »Höre auf mich! Besuche die Quartiere der Jungfrauen! Ich führe dich am besten gleich dort hin.«